Millenium
Letztens las ich in einer Illustrierten beim Zahnarzt folgenden Artikel und er hatte mir gefallen. Er stammte von einer Frau, nur den Namen habe ich leider vergessen. Ich hoffe, dass ich den Artikel genau wiedergegeben habe. Die beiden Clips stammen von einer TGV-Amiga-Tools CD.
Es ist noch gar nicht so lange her, da waren wir klein und haben uns immer ausgerechnet, wie alt wir im Jahr 2000 sein würden - in jenem fernen Jahr, in dem uns Küchenroboter in weißen Schürzchen die Drinks servieren, nachdem wir im Flugauto zu Hause eingeschwebt sind. Nun ist es plötzlich 1999, wir sind in einem Alter, wo man nicht mehr so gerne übers Alter spricht, und die Zukunft ist irgendwie immer noch verdammt weit weg.
Die einzigen, die noch nicht mitgekriegt haben, dass 2000 bloß ein Haufen Nullen ist, sind die Partyveranstalter in aller Welt, die uns noch einreden wollen, dass Sylvester 1999 die Riesensause des Jahrhunderts, ach was: des Jahrtausends wird und nicht bloß eine Fete wie jede andere, wo die Chips zu labbrig sind, der Sekt zu warm und jeder fünfte Berliner mit Senf gefüllt ist.
Denn was passiert schon groß am 31.12.99, Schlag Mitternacht? Die Uhr macht bong, die Raketen machen bum, die Leute machen prost - und dann? Dann ist entweder die Welt untergegangen, wie eine Handvoll Sekten prophezeit, oder es ist immer noch so wie gestern: das überzogene Konto, die löchrigen Socken, das maue Sexleben. Nur dass das alles noch deprimierender ist als sonst. Weil man ja mal dran geglaubt hat, dass im Jahr 2000 die Welt eine bessere oder zumindest eine andere sein würde.
Schon dieses Jahr trifft man auf allen Partys nur Langweiler, die "Und was habt ihr nächstes Jahr vor?" fragen, oder Klugscheißer, die einem vorrechnen, dass erstens das Jahrtausend ja erst am 31.12.2000 abgelaufen sei und dass es zweitens politisch unkorrekt sei, so eine Riesenfete zu machen, wo doch die armen Juden/Chinesen/Moslems gar nicht mitfeiern können wegen anderer Zeitrechnung. Solchen Leuten muss man nur eine halbe Stunde zuhören, und schon findet man, dass der Weltuntergang gar keine so schlechte Idee ist.
Denn die Alternativen für die Nacht der Nächte sind auch nicht besser. Entweder steht man sich auf einer öden anonymen Megaparty mit wildfremden Menschen die Beine in den Bauch und wartet auf das angeblich größte Feuerwerk aller Zeiten, zahlt ein Schweinegeld für einen Tropfen Champagner und wird von Glas zu Glas trauriger. Oder man war so blöd und hat einen dieser Angeberflüge über ein Dutzend Zeitzonen hinweg gebucht und merkt nach einer Stunde, dass man jetzt noch weitere 13 Stunden qualvoll eingeklemmt sitzen wird, das Ganze für 20.000 Mark.
Oder - das allerschlimmste - man macht es sich gemütlich. Entweder mit zwei befreundeten Paaren (mit denen man seit Jahren jeden Donnerstag kegeln geht) sich um einen Fonduetopf hocken, aber diesmal mit besonders dollem Rinderfilet und Tiefseegarnelen und so, oder in Famillje vor dem Fernseher mit Knabbermischung und Chantrè ab zwölf Uhr mittags zugucken, wie es weltweit 13 schlägt. Wenn Deutsche es sich gemütlich machen, ist das Grauen nicht fern.
Es bleibt also nur eins: Am 31.12.1999 kurz nach der Tagesschau - gern auch früher -drei extrastarke Schlaftabletten einwerfen und den ganzen Milleniums-Scheiß planmäßig versäumen. Für alle anderen: Weizengrassaft mit einem rohen Eigelb und einem Dutzend Austern vorm Zubettgehen. Wirkt todsicher gegen den Kater des Jahrtausends.
Autor: Wolf Zimmer
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